Deutsche Sprache, Identität und Kultur

Kleine Zeichen und große Würfe in der Stadt an der Spree

Wiener Sprachblätter, 63 (2013), 4, S. 12–13

Die Berliner Morgenpost will Fremdwörter vermeiden. In seiner Antwort auf einen Leserbrief schreibt Chefredakteur Carsten Erdmann, daß es „wieder an der Zeit ist, alle Redakteure in der Redaktionskonferenz an dieses Selbstverständnis zu erinnern”. Hintergrund waren mehr als fünfzig englische Wörter und Wortgruppen in einer einzigen Ausgabe.

Die Morgenpost würdigte den Rätselautor Manfred Stock. In fünfzig Jahren hat er sich mehr als 9000 Rätsel ausgedacht. Berühmt geworden ist er unter anderem durch die Berliner Zeitschriften Troll und Das Magazin. Stock schöpft in den Denkaufgaben aus der deutschen Sprache.

Er schreibt das Wort Zentrum mit Z und sagt Kind und Laden. Für die Lösungswörter seiner Rätsel verwendet er das ß und die Umlaute ä, ö, ü und vermeidet zweibuchstabige Begriffe. Manfred Stock bevorzugt nach wie vor die „handgemachten” und bedauert die mangelnde Qualität der mit dem Rechner gebauten Rätsel.

Für den Erhalt der deutschen Wissenschaftssprache setzt sich der in Berlin ansässige „Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache” (ADAWIS) ein. Im Januar dieses Jahres hat er sich mit dem Berliner „Arbeitskreis Deutsche Sprache in der Medizin” zusammengeschlossen.

Auf ihrer Netzseite www.adawis.de machen die sprachbewußten Wissenschaftler auf den Bundestagsbeschluß „Deutsche Sprache fördern und sichern” aufmerksam. Dieser Beschluß wurde am Ende der vergangenen Legislaturperiode am 27. Juni 2013 angenommen.

Der Bundestag warnt darin vor dem Bedeutungsverlust der Wissenschaftssprache Deutsch, denn durch ihn geraten wichtige Beiträge der deutschsprachigen Wissenschaft aus dem Blick. Er stellt fest: „Die deutsche Sprache ist laut Abschlußbericht der Enquete-Kommission ‚Kultur in Deutschland’ (Bundestagsdrucksache 16/7000, S. 408)
‚das prägende Element der deutschen Identität und Kultur’. Ihre Vielfalt und Schönheit zeigt sich nicht zuletzt in den großen und traditionsreichen Werken der deutschsprachigen Literatur.”

Davon zeugen die derzeitigen literarischen Höhepunkte in der Hauptstadt. Dem 250. Geburtstag von Jean Paul (1763–1825) ist die erste große Einzelausstellung gewidmet, die bis zum 29. Dezember 2013 das Gesamtwerk des deutschen Dichters umfänglich vorführt.

Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften gaben der Ausstellung im Max-Liebermann-Haus am Brandenburger Tor den Namen „Dintenuniversum” (sic!).

Das „Universum aus Tinte” will den wortgewaltigen und sprachschöpferischen Dichter mit Bildnissen, Handschriften, Zettelkästen und Manuskripten für die Gegenwart erschließen. Den Nachlaß von 40.000 Seiten betreut die Berliner Staatsbibliothek.

Zur feierlichen Übergabe des Nachlasses von Otfried Preußler (1923–2013) hatte die Staatsbibliothek zu Berlin am 22. Oktober in ihr Haus Potsdamer Straße 33 eingeladen. Im Foyer war zum 90. Geburtstag des Schriftstellers fünf Tage lang die Ausstellung „Manuskripte, Kinderbücher und Briefe” zu sehen.

Literarische Kostproben in der Festveranstaltung boten Carola Pohlmann, Leiterin der Kinder- und Jugendbuchabteilung, mit dem Vortrag „Hotzenplotz im Lesesaal – ein kinderliterarischer Nachlaß in der Staatsbibliothek zu Berlin” und die Schauspielerin Ruth Macke mit der Lesung aus Otfried Preußlers königlich-böhmischem Weihnachtsroman Die Flucht nach Ägypten.

Mit einem geographischen Abenteuer beginnt für den Leser die Geschichte der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten, so wie sie Otfried Preußler aufgeschrieben hat. Der Vater vom Räuber Hotzenplotz, von Krabat und der Kleinen Hexe wurde im nordböhmischen Reichenberg, dem heutigen Liberec, geboren.

Seine beiden Großmütter bezeugten, daß Josef und Maria mit dem Jesuskind auf der Flucht vor König Herodes von Bethlehem nach Ägypten über den nördlichen Teil des Königreichs Böhmen zu Fuß gezogen waren. Dabei erzählt Otfried Preußler in barock-böhmischer Sprache mit immer neuen Abschweifungen die Geschichten der Menschen im Erz- und Riesengebirge.

Mit seiner natürlichen und lebendigen Sprache begeistert auch der Berliner Kinder- und Jugendbuchautor Klaus Kordon (geboren 1943) Leser und Zuhörer. Nach seinem 70. Geburtstag wurde Klaus Kordon zum Nationalfeiertag mit dem „Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland” geehrt.

Bundespräsident Joachim Gauck würdigte besonders den autobiographischen Berlin-Roman Krokodil im Nacken, in dem es um Gewissenstreue geht. „Sein besseres Ich war das, sein Gewissen, dieses Krokodil mit den riesengroßen, aber eben nicht nur damit knirschenden Zähnen.”

Kinder und Jugendliche aus Deutschland, Österreich, Italien, Bulgarien, Peru, den Vereinigten Staaten von Amerika und anderen Ländern beteiligen sich jedes Jahr mit literarischen Arbeiten am Schülerschreibwettbewerb „Schöne deutsche Sprache” der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt. Für 2014 ist das Thema „Träume werden Wirklichkeit” ausgeschrieben (www.fruchtbringende-gesellschaft.de).

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